Orte der Gelehrtheit: Vom "Funktionieren" deutscher Universitäten im 17. und 18. Jahrhundert

Orte der Gelehrtheit: Vom "Funktionieren" deutscher Universitäten im 17. und 18. Jahrhundert

Organisatoren
"Nachwuchsgruppe ‚Universitätsgeschichte‘", Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.07.2006 - 07.08.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Sebastian Kusche, Koordinierungsstelle der Kommission für die Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Leipzig

Auch die moderne Universitätsgeschichtsschreibung hängt offenbar zu einem beträchtlichen Teil vom Konjunkturzyklus der Universitätsjubiläen ab. Dies ist wohl gleichermaßen ein Vorteil und eine Belastung für die universitätsgeschichtliche Forschung. Einerseits nämlich bestätigt diese Nähe zu den universitären Jubelfeiern alte Vorurteile über die bestellte Festschriftenliteratur sowie neue Vereinnahmungstendenzen einer zumeist oberflächlichen Eventkultur, die zur Stabilisierung der Corporate Identity der heterogenen modernen Massenuniversitäten beitragen soll. Unbestreitbar ist andererseits aber auch, dass sich gerade die Geschichtswissenschaft wenigstens im Vorfeld dieser akademischen Großereignisse im Wettbewerb um die begrenzten Mittel der Stiftungen und der Hochschulfördertöpfe ein Stück vom immer kleiner werdenden Kuchen zu sichern vermag. Besonders für die mitteldeutschen Universitäten stand und steht im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein ganzer Reigen von Jubiläen an (Halle-Wittenberg 2002, TU Dresden 2003, Frankfurt an der Oder 2006, Jena 2008, Leipzig 2009 und die HU Berlin 2010), in deren Begleitung auch eine Konjunktur neuer universitätsgeschichtlicher Arbeiten zu verzeichnen ist.

Dass die moderne universitätsgeschichtliche Forschung allerdings nicht mehr der akademischen „Selbstbeweihräucherung“ dient, sondern sich über die Grenzen der eigenen Hochschule hinaus vernetzen muss und mittlerweile zu einer eigenständigen Disziplin (mit eigenem Publikationsorgan) geworden ist, zeigte eine Tagung der „Nachwuchsgruppe ‚Universitätsgeschichte‘“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die am 7. und 8. Juli 2006 in der Saalestadt stattfand.

Die thüringische Landesuniversität in Jena begeht 2008 ihr 450-jähriges Jubiläum und hat im Vorgriff auf dieses Ereignis zahlreiche Projekte ins Leben gerufen, die unter anderem auch mit dem erfolgreichen Jenaer SFB 482 („Ereignis Weimar-Jena, Kultur um 1800“) verzahnt sind. Im Rahmen dieser Bemühungen um die Geschichte der eigenen Hochschule ist mit der „Nachwuchsgruppe ‚Universitätsgeschichte‘“ eine vorbildlich zu nennende, freilich allzu kurz befristete Förderung für junge Akademiker etabliert worden. Diese Institution, in der für die Dauer von zwei Jahren Promotionsprojekte zur Geschichte der Salana zusammengeführt und unterstützt werden, wird von Prof. Volker Leppin (Lehrstuhl für Kirchengeschichte), Prof. Helmut G. Walther (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte), Prof. Georg Schmidt (Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit) sowie vom Leiter des Jenaer Universitätsarchivs, Dr. Joachim Bauer, betreut.

Korrespondierend zum Charakter der Jenaer Bemühungen wurde auch die Tagung unter der Überschrift „Orte der Gelahrtheit: Vom ‚Funktionieren‘ deutscher Universitäten im 17. und 18. Jahrhundert“ von Nachwuchswissenschaftlern aus Deutschland und Österreich gestaltet, die ihre teils noch laufenden, teils bereits abgeschlossenen Promotionsprojekte vorstellten. Erfreulicherweise löste die Tagung den Anspruch ihres zunächst vielleicht etwas artifiziell wirkenden Titels ein und bot instruktive Einblicke in die Funktionsweise frühneuzeitlicher deutscher Universitäten, wobei die Themenpalette sehr weit gespannt von Formen aufgeklärter Geselligkeit im akademischen Milieu des 18. Jahrhunderts in Leipzig (Anja Pohl, Leipzig) bis zum Verhältnis von Landesherrn und Landesuniversität am Beispiel Tübingens im vorausgehenden 17. Jahrhundert (Sabine Holtz, Tübingen) reichte. Eine gewisse Verschiebung des Schwerpunktes zugunsten der gastgebenden Friedrich-Schiller-Universität war dabei durchaus positiv zu bewerten, zumal mit der Geschichte der Salana die Entwicklung einer prominenten lutherischen Landesuniversität präsentiert wurde, die im 17. und 18. Jahrhundert sowohl von ihrer Frequenz als auch im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Ausstrahlung eine große Bedeutung im Alten Reich besaß. Dies verdeutlichten die Vorträge von Tina Leich zu Frequenz und Besucherprofil der Salana im 16. und 17. Jahrhundert und von Daniela Siebe (beide Jena) zur Berufungspraxis in Jena in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, während Stefan Wallentin (ebenfalls Jena) in seinem Vortrag zu einer gescheiterten Reform der Jenaer Hochschule um das Jahr 1700 die Besonderheiten der Verwaltung der ernestinischen Samtuniversität herausarbeitete, die nicht einem Landesherrn, sondern mehreren Erhaltern (zumeist war die Rede von den „Nutritoren“) in Gestalt der Fürstenhäuser von Weimar, Gotha, Altenburg oder Meiningen gegenüberstand.

Die für das frühneuzeitliche Jena gemachten Beobachtungen wurden durch Vorträge zur Bedeutung der Universität Greifswald für Schweden (Simone Giese, Linz), zum Verhältnis von Landesherrn und Universität Gießen im 18. Jahrhundert anhand der Berufungspolitik (Eva-Marie Felschow, Gießen) sowie zur Personengruppe der Universitätsverwandten an der Universität Gießen in der Frühen Neuzeit (Carsten Lind, Gießen) kontrastiert bzw. vergleichend eingeordnet.

Überhaupt spielte die komparatistische Perspektive in nahezu allen Vorträgen und vor allem in den engagierten Diskussions- und Redebeiträgen eine wichtige Rolle. Dabei zeichnete sich durchaus ein neuer Trend zur Interdisziplinarität ab, wie die methodisch vielversprechende Beteiligung von Volkskundlerinnen des Münsteraner SFB 496 („Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“) zeigte. Komparatistisch angelegt waren auch die Vorträge von Andreas Gößner (München) zur Rolle von Relegationen als akademischer Strafmaßnahme an den kursächsischen Universitäten Wittenberg und Leipzig im 16. und 17. Jahrhundert, von Marian Füssel (Münster) zu Zeremoniell und Verfahren bei der Rektorwahl an frühneuzeitlichen Hochschulen und von Julian Kümmerle (Stuttgart) zu Familienuniversitäten und Gelehrtendynastien in der Frühen Neuzeit. In einem Abendvortrag analysierte schließlich Matthias Asche (Tübingen) die Forschungskategorie der „Bildungslandschaft“ im Reich der Frühen Neuzeit.

Der rege Meinungsaustausch im Anschluss an die Vorträge und die von Anton Schindling (Tübingen) und Helmut G. Walther (Jena) geführte Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung offenbarten vor allem drei Schwerpunkte:

Zum einen die Frage nach den Methoden, wobei von einigen Teilnehmern zu Unrecht sozialwissenschaftliche Zugänge, wie quantitative oder statistische Analysemethoden, als antiquiert bewertet wurden, zugunsten einer einseitigen Betonung der Bedeutung kulturgeschichtlicher Fragestellungen. Es wäre im Gegenteil ungleich besser, wenn moderne universitätsgeschichtliche Strukturuntersuchungen auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen könnten – schon deshalb, weil es noch immer gilt, die tradierten Urteile der älteren Literatur, etwa zu Frequenz, Besucherprofil und Einzugsgebiet von Hochschulen, mit neuen sozialwissenschaftlichen Instrumentarien empirisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Zum anderen wurde mehrfach die Bedeutung der mittelalterlichen Traditionen in der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte hervorgehoben, weshalb es angebracht erscheint, generalisierende Aussagen zur Struktur und Verfassung frühneuzeitlicher Universitäten nur mit gewissen Einschränkungen und dem Hinweis auf die bewusste Unterscheidung von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universitätsgründungen vorzunehmen.

Zum dritten wäre die Aussagekraft und die Verwendung des Begriffs „Bildungslandschaft“ im Alten Reich zu hinterfragen. Bislang fehlen exemplarische Studien, die eine Aufeinanderbezogenheit von verschiedenen Hochschulen in einer regionalen „Bildungslandschaft“ untersuchen. Es müsste darüber nachgedacht werden, welche weiterführende empirische Aussagekraft diesem heuristischen Instrument in der Zukunft zugemessen werden kann oder ob es der Forschung nicht besser anstünde, dessen Verwendung als rein geografisches Ordnungsschema zu postulieren.

Die Referate dieser gelungenen Jenaer Tagung zeigten, dass die aktuelle Universitätsgeschichtsforschung dazu bereit ist, den oft formulierten Anspruch einer komparatistischen Methode und Interdisziplinärität zu verwirklichen, und dass sie somit weit mehr zu bieten hat als nur eine bestellte Festschriftenliteratur. Auch wenn die Entstehung von universitätsgeschichtlichen Arbeiten bisweilen (leider) allzu oft an die Konjunktur der akademischen Jubiläumszyklen gekoppelt ist.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts